Vorspann
Das Österreichische Theatermuseum geht neue Wege: Normalerweise kann ein Theatermuseum nur Ausstellungen über das Theater zeigen. Das aktuelle Projekt „Der sprechende Körper“ hingegen präsentiert auch das Theater selbst - lebendiges Theater, Performance-Theater, Theater auf der Höhe unserer Zeit.
„Der sprechende Körper“ handelt von der Arbeit des Zürcher Regisseurs Walter Pfaff und seiner Theatergruppe PARATE LABOR. Und es ist Pfaff persönlich, der für die Darstellung dieser Arbeit im Museum verantwortlich zeichnet: Das PARATE LABOR stellt sich selbst vor. Also ist es kein Wunder, daß die Ausstellung die Form einer Inszenierung in vier Akten hat. Der Besucher erlebt den Weg des Schauspielers zum Performer mit, einen Weg, den das PARATE LABOR seit 1992 beschreitet. Er führt moderne europäische und traditionelle indische Techniken der Körpersprache zusammen.
Die Ausdruckskraft des Körpers kann nicht nur im Tanz und in der Akrobatik eine entscheidende Rolle spielen, sondern auch am Theater. Der menschliche Körper spricht nämlich eine uralte Sprache, die älter ist als das Wort. Sie diente von Anfang an dazu, Freund und Feind, wahr und falsch zu unterscheiden. Auf diese erste Art der Kommunikation geht die Kunst des Performers zurück.

1. Akt
„The formula of theatre is just birth and death“: Das Theater setzt sich nur aus Geburt und Tod zusammen, hat Heiner Müller einmal gesagt. Das ist so etwas wie ein Leitmotiv für Walter Pfaff und das PARATE LABOR. Das Bühnenbild, die Kostüme, das Licht, die Musik, der Text - all das ist am Theater entbehrlich. Wenn wir es weglassen, bleibt am Schluß der Körper des Performers. Es ist kein alltäglicher, sondern ein außergewöhnlicher Körper, der gelernt hat, sich mitzuteilen. Die Schauspieler des PARATE LABOR erlernen das durch hartes Training - und werden so zu Performern, die nach einer Verbindung von Kunst und Leben suchen.

2. Akt
Die modernen Theatertechniken in Europa kreisen vor allem um die Schärfung der Beobachtung - der ganz alltäglichen Beobachtung: Wie gehen wir? Wie halten wir uns aufrecht? Wie gebrauchen wir unseren Körper? Mit der aufmerksamen Beobachtung verändert sich unsere Wahrnehmung: Das Einfache wird schwieriger, das Alltägliche vielfältiger, bei automatisierten Bewegungsabläufen rückt die schon aus dem Bewußtsein verdrängte Technik wieder in den Vordergrund. Die Leistung des homo erectus, der sich von allen vieren auf zwei Beine aufrichtete: Jedes Kind muß mühsam lernen, sie nachzuahmen. Wenn wir uns solche Errungenschaften bewußt machen, können wir die Entwicklung und die Fähigkeiten der frühesten Menschen nachvollziehen. Die bildende Kunst, der Tanz und eben das Theater haben in Europa solche Erfahrungen verarbeitet. Der Performer bringt mit ihrer Hilfe den Körper zum Sprechen.

3. Akt
Ein Jahr lang trainierte das PARATE LABOR in Südindien die perfekte Beherrschung der Muskulatur nach den uralten Traditionen des Tempeltheaters Kutiyattam. Der Körper wird gewissermaßen zerlegt: Füße, Hände, Augen und Gesichtsmuskeln werden einer überaus exakten Schulung und Disziplin unterworfen, bis der Performer die überlieferte Sprache der Bewegungen erlernt hat.

4. Akt
Wir sind bei der aktuellen Arbeit der Mitglieder und Gäste von PARATE LABOR angelangt. Was Sie hier zu sehen bekommen, geht über eine Ausstellung im eigentlichen Sinn hinaus. Hier wird nichts demonstriert, nichts speziell für Sie als Zuschauer gemacht: Es findet einfach die tägliche Trainingsarbeit der Performer statt, die sonst im geschützten Raum des Laboratoriums verborgen bleibt. Wir laden Sie ein zu verweilen, sich Zeit zu nehmen, Anteil zu nehmen, also einfach: zu schauen.